Fokus Gambia 2023

Fokus Gambia 2023
Gambia steht im Zentrum mehrerer Veranstaltungen, die im September 2023 in Münster stattfinden.
Projektbeschreibung
Das Projekt „Fokus Gambia“ der Afrikanischen Perspektiven Münster beleuchtet in seinen Veranstaltungen unbekannte oder wenig beachtete Aspekte der Kulturen Gambias, die für das Verständnis des westafrikanischen Landes wichtig sind. Damit wird auch ein Beitrag zur Dekolonisierung der gegenseitigen Beziehungen geleistet.Gambia ist mit etwa 2 Mio Einwohnern und einer Fläche von ca. 10.000 Quadratkilometern recht klein. 2021 stand es auf Rang 174 des „Index der menschlichen Entwicklung“ der Vereinten Nationen, der 191 Staaten umfasst. Die Zahl der nach Europa geflüchteten Gambier*innen ist vergleichsweise hoch. Das hat sich auch nach dem Ende der Diktatur Jammehs im Jahr 2017 nicht gravierend verändert. In Nordrhein-Westfalen gibt es wie in ganz Deutschland zahlreiche Nicht-Regierungsorganisationen (NGO), die mit gambischen Partner*innen in verschiedenen Bereichen – wie Bildung, Gesundheit oder Landwirtschaft - zusammenarbeiten. In Münster bietet „Fokus Gambia“ am 16. und 17. September 2023 Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen und zu bedenken. Der Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf CHANCEN – BILDUNG IN GAMBIA.  
Stand des Projekts

14. September 2023

FÖRDERUNG UND KOOPERATION
Die Tagung am 16. und 17. September findet in Zusammenarbeit mit der Akademie Franz-Hitze-Haus statt. Die Durchführung des Projektes ist möglich durch die freundliche Förderung von Engagement Global gGmbh aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen und der prolina Stiftung.

Projekt Fokus Gambia 2023, 14.09.2023, Bild 1

14. September 2023

14. September 2023
VORTRAG von Dr. Katrin Pfeiffer:
KULTURELLES GEDÄCHTNIS UND DEKOLONISIERUNG
Die Digitalisierung des Nationalarchivs in Gambia

Geschichte wird meist aus der Sicht Europas/des Westens geschrieben. Das gambische digitale Archiv, das Katrin Pfeiffer vorstellt, bietet mit den historischen Quellen des westafrikanischen Landes einen Perspektivwechsel und trägt damit zur Diskussion über die Dekolonisierung bei. Im Rahmen des Projektes „NCAC National Digital Archiv of The Gambia – Digitalarchiv Bakari Kebba Sidibe“ wurden 5.000 Tonaufnahmen samt aller Verschriftlichungen digitalisiert. Ziel des Projektes war es, die Daten nicht nur zu konservieren, sondern sie in Gambia und auch international zugänglich zu machen. Das Projekt war eine Kooperation zwischen dem NCAC, Gambia und der Universität Hamburg, Asien-Afrika-Institut, Abteilung für Afrikanistik.

BERICHT

Dr. Katrin Pfeiffer stellte zunächst das Archiv des staatlichen National Center for Arts and Culture (NCAC) und dessen Gründer Bakari Kebba Sidibe vor. Im nächsten Abschnitt ging es um das Digitalisierungsprojekt „NCAC National Digital Archiv of The Gambia – Digitalarchiv Bakari Kebba Sidibe“: dessen Methodik, Zielsetzungen und Zielgruppen. Das Projekt (2016-2022) war eine Kooperation zwischen dem NCAC, Gambia, und der Universität Hamburg, Asien-Afrika-Institut, Abteilung für Afrikanistik – finanziert von der Gerda Henkel Stiftung. Schließlich fokussierte der Vortrag auf den Beitrag des Archivs und dessen digitalen Repositoriums zur Dekolonisierung Gambias, denn das Archiv (materiell und digital) ermöglicht einen Perspektivwechsel von der Sicht Europas/des Westens hin zu gambischen Betrachtungen und Einordnungen der Ereignisse in der Vergangenheit wie z.B. die Kolonialzeit.

Der Vortag fand in Kooperation mit der Kolleg-Forschungsgruppe „Zugang zu kulturellen Gütern im digitalen Wandel“ der Universität Münster statt und stellte so eine Verbindung zwischen Wissenschaft, Praxis und allgemeiner Öffentlichkeit her.

Projekt Fokus Gambia 2023, 14.09.2023, Bild 1

15. September 2023

15.-16. September 2023
WORKSHOP mit Dr. Katrin Pfeiffer:
TRANSKULTURELLE KOMPETENZ ALS FAKTOR IN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT MIT GAMBIA
Eine Einführung in Kultur und Sprache der Mandinka

Die gambisch-deutsche Projektarbeit findet im transkulturellen Raum statt, der durch Erwartungen an das Verhalten der „Anderen“ charakterisiert ist. Dieser Raum bietet Chancen, kann aber auch Stolpersteine enthalten. Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit gambischen Partner*innen sind neben guten Landeskenntnissen transkulturelle Kompetenzen – insbesondere in der Kommunikation – notwendig. Manche für Gambier*innen selbstverständliche Umgangsregeln stoßen bei deutschen Projektpartner*innen auf Unverständnis. Dies soll an Fallbeispielen – insbesondere aus der Mandinka-Sprache – erörtert werden.

BERICHT

In dem Workshop wurden Faktoren für eine erfolgreiche Kommunikation zwischen gambischen und deutschen Projektpartner*innen erarbeitet. Praxisbeispiele wurden dahingehend analysiert, ob sich im Verhalten der Beteiligten kulturelle Unterschiede zeigten, oder ob auch die Persönlichkeitsstruktur der Gesprächspartner*innen eine Rolle spielte. Aspekte eurozentristischer Haltungen in der Zusammenarbeit wurden hinterfragt. Beispiele aus Kultur und Kommunikation der Mandinka verdeutlichten, welche Komponenten Höflichkeit und Respekt ausdrücken. Das komplexe System der Sprache wurde kurz vorgestellt und einfache Begrüßungsrituale wurden geübt. Abschließend lernten die Kursteilnehmenden einige Mandinka-Sprichwörter kennen, die die gesellschaftlichen Werte der Mandinka-Gesellschaft untermauern, z.B. Faroolu menu be naaneering, wolu le jiyo ka bori nyoo kang – Das Wasser angrenzender Reisfelder fließt zusammen (Niemand ist eine Insel).

Projekt Fokus Gambia 2023, 15.09.2023, Bild 1

16. September 2023

16.-17. September 2023
CHANCEN – BILDUNG IN GAMBIA
Gambia-Forum 2023

In Gambia sind viele deutsche NGO engagiert, insbesondere in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft. Vor 22 Jahren wurde ein loser Zusammenschluss unter der Bezeichnung „Gambia-Netzwerk“ ins Leben gerufen. Seit 2011 treffen sich alle zwei Jahre Vereine und engagierte Personen, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Sie können über ihre praktische Arbeit berichten sowie Denkanstöße liefern, erhalten und diskutieren

Schwerpunkt der Tagung in diesem Jahr ist die Förderung von Kindern und jungen Menschen in Gambia. Weitere Themen sind die gambische Diaspora als Verbindung zwischen Gambia und Deutschland, die Dekolonisierung der Entwicklungszusammenarbeit, das zivilgesellschaftliche Engagement in Gambia oder die Chancen der Digitalisierung. Mitwirkende sind Judith Altrogge (Universität Osnabrück), Olaf Bernau (Soziologe, Westafrika-Experte, Autor), Dr. M. Moustapha Diallo (Autor, arbeitet u.a. über Migrationsdiskurse), Yahya Sonko (Arbeit mit Geflüchteten und Rückkehrenden in Deutschland und Gambia), Ansumana Touray (Solartechnik-Unternehmer in Gambia), Ousman Ceesay (Filmemacher/Digitale Medien) u.a.

BERICHT

Die Tagung von in Gambia tätigen NGOs hatte die Bildungschancen in Gambia im Fokus. Junge Gambier*innen, die sowohl in Deutschland als auch in Gambia mit ihren Projekten wirken, brachten ihre Sicht ein. Die Chancen der (Re-)Migration und die Potentiale der gambischen Diaspora wurden diskutiert. Hierbei zeigte sich eine ganze Reihe von Initiativen: Vermarktung von Körben aus Gambia in Deutschland, diverse Lernangebote für Jugendliche aus gambischen Familien in Hamburg sowie in Gambia initiierte Projekte, Information gambischer Geflüchteter in Deutschland und Re-Integration abgeschobener Gambier*innen. Drei Beispiele des zivilgesellschaftlichen Engagements in Gambia präsentierten sich per Videobotschaft: Ausbildung im Bereich Solartechnik, Ausbildung in den Bereichen bildende und darstellende Kunst sowie eine Sensibilisierungsinitiative von Amnesty International Gambia zu Themen wie sexualisierter und genderbasierter Gewalt.

Hervorheben möchten wir folgende Beiträge:


Verena Bosso (geb. Wellnitz), John Wisdom Bosso:
„GUTE BILDUNG IN GAMBIA. WAS HAT DAS MIT UNS IN DEUTSCHLAND ZU TUN?“
Gambia-Forum 2023

Verena Bosso zeigte in ihrem Vortrag die Diskrepanz zwischen staatlichen Schulen und Privatschulen. Letztere seien für das Gros der Bevölkerung nicht zugänglich, weil die Plätze begrenzt und die Schulgebühren meist unerschwinglich sind. Eine Ausnahme machen hier die Privatschulen, die von NGOs unterstützt werden, wie zum Beispiel die Sukuta-Wannsee-Schule.

Schüler*innen staatlicher Schulen seien regelmäßig mit zu hohen Klassenstärken, unzureichendem Lehrmaterial sowie wenig ausgebildeten und häufig wenig motivierten Lehrkräften konfrontiert. Entsprechend sei die Zahl der qualifizierten Schulabschlüsse signifikant niedriger als an den meisten Privatschulen. John Wisdom Bosso ergänzte den Beitrag durch seine eigenen Erfahrungen im gambischen Bildungssystem. Das in der UN-Agenda 2030 formulierte Nachhaltigkeitsziel „Hochwertige Bildung für Alle“ werde in Gambia nicht erreicht. Deutsche NGOs könnten hier wichtige Unterstützung leisten.

Projekt Fokus Gambia 2023, , Bild 1

Olaf Bernau: „ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT DEKOLONISIEREN: WESHALB PRAKTISCHE UNTERSTÜTZUNG UND POLITISCHE INTERVENTION ZUSAMMENGEHÖREN“
Gambia-Forum 2023

Die Beziehungen und damit auch die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Europa und Afrika sieht der Soziologe und Autor Bernau als stark kolonial geprägt an. In der Kolonialzeit seien die Strukturen gelegt worden, Rohstoffe aus den Kolonien zur Verarbeitung nach Europa zu bringen und Produkte zurückzuliefern. Der Aufbau einer verarbeitenden Industrie auf dem afrikanischen Kontinent sei verhindert worden. Diese Strukturen der Ausbeutung bestünden fort und verhinderten eine den Menschen zuträgliche Entwicklung in afrikanischen Ländern.

Bernau rief die anwesenden NGOs dazu auf, immer wieder zu hinterfragen, ob die Zusammenarbeit mit den gambischen Partner*innen gleichberechtigt und zielführend sei. Neben ihrem Engagement in Gambia sollten sie sich auch auf politischer Ebene für gerechtere Handelsabkommen einsetzen und eine Entwicklungszusammenarbeit fordern, die die Bedürfnisse der Bevölkerungen in den betreffenden Ländern in den Mittelpunkt stellt.

Dr. M. Moustapha Diallo ergänzte Beispiele aus seinem Geburtsland Senegal. So ermöglichten internationale Fischereiabkommen, dass große Fangschiffe aus europäischen Ländern und China Fischern in Senegal wie auch Gambia die Fische vor deren Küsten im wahrsten Sinne des Wortes wegfangen.

An der anschließenden Fischbowl-Diskussion beteiligten sich gambische Aktivist*innen lebhaft. Sie beklagten fehlende Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in Gambia und wünschten sich Unterstützung von den anwesenden NGOs. Sie berichteten von dem Druck, den Familien auf junge Leute machen, ins Ausland zu gehen, um ihre Familien in Gambia zu unterstützen.

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Judith Altrogge mit Lamin Fatty und Yahya Sonko:
„BEITRÄGE DER GAMBISCHEN DIASPORA ZUR VERBESSERUNG DER SITUATION JUNGER MENSCHEN IN UND AUS GAMBIA“
Gambia-Forum 2023

Aus Gambia kommen verhältnismäßig viele Menschen – insbesondere junge Männer – nach Deutschland. Die Selbstorganisation von Migrant*innen sei ein Potenzial, meint die Soziologin Judith Altrogge. In Deutschland leisten sie mit ihren Netzwerken Unterstützung bei Integrations- und Teilhabearbeit von Neuankömmlingen, in Gambia leisten sie Unterstützung durch Rücküberweisungen und humanitäre Hilfe. Altrogge beleuchtete die zur Einwanderung aus Gambia relevante Statistiken und schaffte damit das inhaltliche Gerüst für die folgenden beiden Beiträge.

Lamin Fatty berichtete über die Aktivitäten des von ihm ins Leben gerufenen Vereins ‚African Solidarity for Action‘, der sowohl in Hamburg als auch in Gambia sowie neuerdings auch in der Casamance (Südsenegal) projektweise aktiv ist.

Yahya Sonko führte aus, wie sich seine Aktivitäten vor allem im Zusammenhang mit der Re-Integration abgeschobener Geflüchteter in Gambia gestaltet, die durch Fortbildungen im Agrarsektor wie Gemüseanbau oder Geflügelzucht unterstützt werden. Ferner werden Sensibilisierungsmaßnahmen für Jugendliche in Gambia durchgeführt, um sie von einer Flucht abzuhalten.

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Ousman Ceesay: „CHANCEN DURCH DIGITALISIERUNG IN GAMBIA“
Gambia-Forum 2023

Ceesay referierte über die Fortschritte der Digitalisierung in Gambia insbesondere im Bereich der Bildung. U.a. stellte er eine Lern-App für Prüfungsvorbereitungen vor. Von den anwesenden NGOs wünschte er sich Unterstützung bei der Ausstattung von Schulen, Bibliotheken oder Ausbildungsstätten mit Computern und Zugang zum Internet.

Alle Vorträge riefen lebhafte Diskussionen, Zusatzbeiträge und viele Fragen seitens des Publikums hervor. Bei Bedarf wurden Beiträge ins Deutsche/Englische übersetzt.
Besonders gut wurde die Möglichkeit, einzelner Vereine aufgenommen, sich mittels Bild- und Textmaterial an Stellwänden vorzustellen. Hierbei spielte die Vernetzung einzelner NGOs eine große Rolle. Die Pausen wurden intensiv zum gegenseitigen Austausch genutzt.

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MUSIK-PROGRAMM
Gambia-Forum 2023

Das vierköpfige Ensemble Kunta Kinte erläuterte vor der Musikdarbietung mit Perkussion und Gesang a) die therapeutische Wirkung des gemeinsamen Musizierens als Kontrapunkt zu dem stressigen Arbeitsalltag in Deutschland, b) seine Ambition, dem deutschen Publikum Ausschnitte der Kulturen Westafrikas mit Musik nahezubringen, c) äußerte die Hoffnung, dass junge Menschen aus Gambia sich künftig nicht mehr auf die lebensgefährliche Reise über den „backway“ nach Europa machen. Alle vier Musiker berichteten von der finanziellen Unterstützung, die sie im Heimatland für die schulische Ausbildung von jüngeren Verwandten leisten.

Ein Feedback der Teilnehmenden wurde am Ende der Tagung im Plenum eingeholt. Es war durchweg positiv. Es habe neue Denkanstöße, konkrete Tipps und neue Kontakte gegeben. Die nächste Tagung wird voraussichtlich 2025 in Berlin stattfinden.

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Fotos vom Gambia-Forum 2023 von Ousman Ceesay

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